24.10.2024
Greenshooting Talk: Susa Katz und Christine Woolgar
Susa Katz, stellvertretende Geschäftsführerin der Zürcher Filmstiftung und Christine Woolgar, Produktionsentwicklerin beim SRF: Erfahrungen mit dem Swiss CO₂-Calculator Film & Medien und Besonderheiten für die Schweiz
KlimAktiv (KA): Wie kam es zum Swiss CO2-Calculator Film & Medien und der Kooperation mit KlimAktiv?
Susa Katz (SK): Da erlaube ich mir, etwas auszuholen: Im Jahr 2019 hinkte die Schweiz in Fragen der nachhaltigen Film- und Fernsehproduktion noch etwas hinterher. Die Zürcher Filmstiftung hatte – wie andere europäische Regionalförderungen – 2019 das Green Manifesto unterzeichnet und akzeptierte seither die dadurch entstehenden Mehrkosten als sog. anrechenbare Kosten, die beim nachhaltigen Produzieren entstehen (z. B. Lohn für Green Consultants). Auf nationaler Ebene wurde mit der sog. Kulturbotschaft 2016–2020 im Bereich Film die Standortförderung FISS/PICS eingeführt. Dieses Förderprogramm berücksichtigte zwar den sozialen und wirtschaftlichen Aspekt der Nachhaltigkeit, aber konkrete ökologische Auflagen für die geförderten Projekte konnten sich damals nicht durchsetzen.
Auf Initiative der Zürcher Filmstiftung wurde im Sommer 2020 ein Prozess zur Koordination und Abstimmung zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen angestossen. Ziel des Prozesses war es, vorhandenes Wissen, Materialien und Expertise zusammenzubringen und konkrete Handlungsempfehlungen für die Institutionen (Förderinstitutionen, Fort- & Weiterbildung, Produktion usw.) zu entwickeln. Im ersten Schritt lag der Fokus dieser Arbeitsgruppe darauf, die Schweizer Filmlandschaft „grüner“ zu gestalten und konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren.
In der Schweiz gab es zu diesem Zeitpunkt wenig Erfahrung mit CO2-Rechnern bei Film- und Fernsehproduktionen, und diese kamen nur vereinzelt zum Einsatz. Die Filmförderinstitutionen warteten auf das Ergebnis eines angekündigten gesamteuropäischen Rechners namens «Eureka». Das SRF, die deutschsprachige Unternehmenseinheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, hatte inzwischen in Zusammenarbeit mit myclimate begonnen, einen eigenen CO2-Rechner für Fernsehfilme bzw. -serien zu entwickeln. Dieser Prototyp wurde für weitere Pilotprojekte im Sender eingesetzt und getestet, da die Auflagen der EBU auch die Schweiz betrafen.
Seit 2021 verlangt die Filmförderung für minoritäre Kinokoproduktionen ein Nachhaltigkeitskonzept. Dabei kamen jeweils unterschiedliche CO2-Rechner aus den Ländern der Koproduktionspartner zum Einsatz, u. a. aus Deutschland, Österreich, Südtirol, Italien, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Schweden. Da sich diese Rechner jedoch stark voneinander unterschieden, waren die Bilanzen der verschiedenen Tools kaum vergleichbar (siehe auch die vergleichende Studie von Jetter, M. (2020): Möglichkeiten und Grenzen von CO2-Rechnern auf dem Weg zu einer nachhaltigen Film- und Fernsehproduktion).
Zudem waren diese Rechner fast alle auf EU-Normen ausgerichtet, etwa hinsichtlich der Stromherkunft. Um eine Vergleichbarkeit zwischen Schweizer Produktionen – unabhängig davon, ob es sich um Werbe- oder Auftragsfilme handelt – sowie aus verschiedenen Landesteilen herzustellen, wurde in Rücksprache mit der Schweizer Filmbranche schnell klar, dass es entscheidend ist, einen einzigen Rechner als Schweizer Standard zu definieren. So könnte ein schweizweiter Datenpool aufgebaut werden, um eine bessere Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Denn erst eine grosse Datenmenge erlaubt valide Schlussfolgerungen zu Einsparpotenzialen oder notwendigen Massnahmen. Eine Arbeitsgruppe evaluierte verschiedene CO2-Rechner mit dem Ziel, sich regionsübergreifend auf einen für die Schweiz geeigneten Rechner festzulegen. Dieser könnte allenfalls mittelfristig auch für andere Kultursparten nutzbar gemacht und als Standard eingeführt werden.
KA: Gibt es für die Schweiz spezifische Gegebenheiten (Geografie, politische Vorgaben o.ä.), die bei der Berechnung der CO2-Emissionen von Produktionen eine Rolle spielen?
Christine Woolgar (CW): Ja die gibt es! Der Schweizer Rechner ist natürlich gleich in mehreren Sprachen verfügbar: Die Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch plus Englisch. Wir haben das Glück, dass die Schweiz bereits einen sehr guten Strom-Mix hat. Somit haben wir unseren Fokus auf die Mobilität gerichtet, welche grösste CO2 Hotspot bei den meisten Produktionen darstellt. Damit ein «fairer» Vergleich zwischen Personen- und Warentransporten möglich ist, haben wir neben dem Verbrauch auch die Emissionen für Infrastruktur, Herstellung und Entsorgung von Transportmitteln berücksichtigt. Ich glaube wir haben in diesem Punkt mit KlimAktiv anspruchsvolle Pionierarbeit geleistet.
KA: Was hat sich verändert, seit Sie mit dem Swiss CO2-Calculator Film & Medien arbeiten?
SK: Grundsätzlich lässt sich sagen, dass ein Tool bei der Sensibilisierung hilft. Ein Bewusstseinswandel hat stattgefunden bzw. findet noch statt, und das ist bereits ein Erfolg.
Zwar sind es bisher noch wenige, aber einige haben festgestellt, dass sie aufgrund der Soll-Berechnungen ihre Projektplanung erneut überprüft haben und dabei teilweise sogar Kosteneinsparungen erzielen konnten.
Aus Sicht der Förderung kann ich noch keine nennenswerte Veränderung feststellen, da bislang zu wenige Daten und Berichte vorliegen. Wir hatten gehofft, dass der Rechner bei der unabhängigen Filmherstellung schneller eingesetzt und von den Produzierenden häufiger genutzt wird. Seit 2024 verlangt die Zürcher Filmstiftung bei Projekten ab einer bestimmten Fördersumme und Budgetgrösse eine solche Berechnung.
CW: Unsere am längsten bestehende Green Production ist der «Tatort», der seit Jahren von Green Consultants begleitet wird. Dort sehen wir genauso wie unsere Deutschen und Österreichischen Kollegen eine erhebliche Reduktion im Fussabdruck. Diesen positiven Effekt möchten wir nun natürlich auf viele weitere Produktionen übertragen.
KA: Welche Möglichkeiten, den ökologischen Fußabdruck bei Produktionen zu reduzieren, sehen Sie?
SK: Meiner Meinung nach können wir hier noch keine Aussage treffen, da bislang zu wenige Berichte von Kinofilmen eingegangen sind.
Aktuell wird der Einsatz von KI in vielen Bereichen diskutiert und getestet, um diese verstärkt in den Herstellungsprozess einzubinden, z. B. bei der Synchronisation oder Untertitelung. Allerdings wird dabei von den Anwendern oft ausgeblendet oder vergessen, dass ein Prompt einer Zugfahrt von Zürich nach München entspricht.
CW: Im Broadcast Bereich eröffnen Technologien uns neue Möglichkeiten, wie zum Beispiel weniger zu Reisen dank Remote oder Cloud Produktionen. Dies ist vor allem im Sport interessant. Auch virtuelle Produktionsmöglichkeiten verfolgen wir mit Interesse. Aber grundsätzlich ist der Prozess, eine Produktion unter die Lupe zu nehmen enorm wertvoll. Wir sind Gewohnheitstiere, daher braucht es diesen Anstoss um sich zu hinterfragen. Vieles kann nachhaltiger gestaltet werden, aber oft nicht indem man es 1:1 ersetzt. Wir haben zum Beispiel einige unserer Kamerafahrzeuge auf Elektroautos umgestellt. Im selben Zug mussten wir aber unsere Ausrüstung überdenken, damit sie kompakter wird und dadurch weniger schwer. So können wir den Verbrauch gering halten und die Reichweite erhöhen.
KA: Wo funktioniert der Rechner gut, wo gibt es noch Verbesserungspotenzial?
CW: Grundsätzlich ist der Rechner übersichtlich und einfach zu bedienen. Green Consultants kommen damit gut zurecht. Was uns momentan noch fehlt ist eine einfache Möglichkeit, unterschiedliche Szenarien durchzuspielen und zu vergleichen. Oder auch einen «Handprint» anzuzeigen, also Emissionen, die Dank Massnahmen eingespart werden konnten.
Für weniger erfahrene User wären Feedback Mechanismen oder Best Practice Vorschläge hilfreich. Eine tolle Idee wären Gamification Elemente zur Motivationssteigerung, die auf anderen Plattformen geteilt werden können.
SK: Da uns zu wenige Berichte vorliegen, kann ich nur einzelne Stimmen wiedergeben: Für Animations- und Trickfilme sowie für Dokumentarfilme sind manche Angaben wohl noch aufwendig. Der Rechner weckt scheinbar, unter anderem aufgrund seiner Vielsprachigkeit, Interesse im Ausland – vor allem zu Beginn erhielten wir vermehrt Anfragen nach einer Demoversion. Auch die Möglichkeit der Demoversion und die kostenfreie Nutzung haben vermutlich Neugier geweckt, Anreize geschaffen und möglicherweise auch Nachahmer inspiriert.
KA: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
SK und CW:
- Dass alle Schweizer Film- und TV Produktionen die Berechnung ihres Projekts mit einer Selbstverständlichkeit ausfüllen.
- Auch die Anwendungen von KI sollten in die Bilanz aufgenommen werden, um aufzuzeigen, dass auch deren Nutzung Auswirkungen hat – ohne KI zu verteufeln, sondern um weiterhin Bewusstsein dafür zu schaffen.
- Die unmittelbare Visualisierung (z. B. durch dynamische Diagramme), die aufzeigt, wo und wie Reduktionen möglich sind, inklusive Vorschläge zur Optimierung.
- Dass sich auch die soziale Nachhaltigkeit in diesem Prozess abbilden lässt.
© Foto: SRF
© Foto: Pascale Weber